IGP: Die Polizei der Polizei

Die Polizei stand zuletzt regelmäßig wegen schwerwiegender Straftaten in den eigenen Reihen im Fokus der Öffentlichkeit. Ein Problem mit Kriminalität in den eigenen Reihen habe die Polizei aber nicht, so Monique Stirn, die Leiterin der Inspection générale de la police - die Polizei der Polizei.      

Artikel von Maximilian RICHARD auf wort.lu

Ein Wasserspender surrt leise in der Ecke, daneben sind Stühle aufgereiht. Der schmale, offene Raum dient als Wartesaal für diejenigen, deren Weg in das Bürogebäude der Inspection générale de la police (IGP) in Gasperich führt. Darunter Polizisten jeden Rangs, denn die Ermittlungsbehörde wird immer dann eingeschaltet, wenn Polizeibeamte leichterer oder schwerwiegender Verfehlungen im Berufs- oder Privatleben verdächtigt werden. 

Wie ein Mahnmal hängt an der Wand des Wartesaals die Charta der Generalinspektion: „L'IGP contrôle le fonctionnement de la police afin de l'aider à atteindre l'excellence du service rendu au public par la réalisation des standards élevés“, definiert die Behörde selbst ihre Mission. 

Diese hohen Erwartungen blieben aber in der jüngsten Vergangenheit mehrmals unerreicht. Die Polizei stand regelmäßig wegen schwerwiegender Straftaten in den eigenen Reihen im Fokus der Öffentlichkeit. So wird zum Beispiel derzeit gegen fünf Polizisten ermittelt, die im Februar vergangenen Jahres einen betrunkenen Mann misshandelt haben sollen, Ausbilder der Spezialeinheit der Polizei werden der körperlichen Gewalt gegenüber Schülern verdächtigt und der mittlerweile versetzte Polizeidirektor für die Region Norden ist erst vor wenigen Wochen unter anderem wegen Amtsmissbrauchs ins Fadenkreuz der IGP geraten.

„Ich glaube nicht, dass die Polizei ein Problem mit Kriminalität in ihren Reihen hat“, antwortet die Direktorin der IGP, Monique Stirn, wenn man sie auf die Vorfälle anspricht. Die Polizei habe viele gute und motivierte Beamte. Die rund 2.360 aktiven Polizisten im Dienst stammen aus der Bevölkerung und stellen unweigerlich ein Spiegelbild der Gesellschaft dar.

„Solche Fälle beweisen im Grunde die Wichtigkeit eines externen Kontrollorgans. Polizisten besitzen aufgrund ihrer Funktion sehr viel Macht. Diese darf aber nur im Rahmen bestimmter Prozeduren und im vollen Einklang mit den Gesetzen genutzt werden“, so Stirn. Darüber wache die Generalinspektion.

Von den Fällen, mit denen die IGP betraut wird, gelangen nur die wenigsten an die Öffentlichkeit. Alleine im vergangenen Jahr arbeitete die Behörde an 257 Dossiers. In 75 dieser Fälle waren die Ermittlungen strafrechtlich relevant und wurden im Auftrag der Justizbehörden geführt. Sie drehten sich besonders häufig um Polizeigewalt (21 Prozent) oder Beleidigungen und Drohungen (zehn Prozent). 

Die Ermittler waren 2019 aber auch mit Fällen im Bereich der Pädophilie, der unterlassenen Hilfeleistung und der Erpressung befasst. Über Einzelheiten schweigt die Direktorin der IGP, so verlangt es das Ermittlungsgeheimnis. Am Ende entscheidet bei diesen Fällen aber nicht die IGP über die Schuldfrage, sondern, wie bei anderen Kriminalfällen auch, ein Gericht.

Keine reine Formalität

Nicht alle Verfehlungen, mit denen die IGP konfrontiert ist, sind jedoch strafrechtlich relevant. Der Großteil der Dossiers geht auf administrative (45 Prozent) oder disziplinarische (13 Prozent) Untersuchungen zurück. Die Ermittler befassen sich unter anderem mit dem Nichteinhalten der Dienstvorschriften oder unpassendem Verhalten im privaten Bereich, mit dem ein Beamter dem Ansehen der Polizei schadet. 

Diese Verfahren sind alles andere als reine Formalitäten: So können am Ende disziplinarischer Ermittlungen ernste Sanktionen für die Beamten stehen. Sie reichen von einer Abmahnung, über eine Degradierung bis hin zur Zwangspensionierung oder gar des Widerrufs des Beamtenstatuts. Die IGP ergreift diese Maßnahmen allerdings nicht selbst.

Sie wird vom Polizeigeneraldirektor mit einer disziplinarischen Untersuchung befasst, die Beamten führen nur die Ermittlungen durch und verfassen anschließend einen umfassenden Bericht. Die Polizeidirektion oder der zuständige Minister für innere Sicherheit entscheiden dann über das eventuelle Strafmaß.

 Die unterschiedlichen Ermittlungen der IGP können aber auch über andere Wege losgetreten werden, erklärt Monique Stirn. So kann am Anfang eine Bürgerbeschwerde stehen – ein zu spätes Eintreffen der Einsatzkräfte nach einem Notruf oder ein aufbrausendes Verhalten können beispielsweise Beweggründe sein. Aber auch über die Justiz oder die Polizeidirektion können Ermittlungsansätze geliefert werden. 

Der Griff zur Waffe

Die IGP wird aber auch immer automatisch eingeschaltet, wenn ein Polizist seine Dienstwaffe nutzt. „Dabei müssen zwei verschiedene Fälle unterschieden werden“, so der beigeordnete Direktor der IGP, Vincent Fally. „Wird eine Person von einer Kugel getroffen, folgen automatisch strafrechtliche Ermittlungen. Entsteht kein Personenschaden, folgt eine administrative Untersuchung. Grundsätzlich prüfen wir aber in beiden Fällen, ob der Gebrauch angemessen war.“

Das Gesetz ist in diesem Zusammenhang sehr streng: Der Gebrauch der Schusswaffe ist nur zulässig, wenn alle anderen Mittel und Wege, eine Gefahrensituation zu lösen, ausgeschöpft sind. Zum Schutz von Leib und Leben muss der Waffengebrauch absolut notwendig sein.

 Die Ermittler der IGP gehen bei ihren Ermittlungen nach einem standardisierten Verfahren vor. Anhand eines Fragebogens können zweifelhafte Fälle herausgefiltert werden. „Sind nicht alle Bedingungen erfüllt, bestehen an der Zulässigkeit des Schusswaffengebrauchs Zweifel und weitere Ermittlungen werden eingeleitet“, so Vincent Fally. 

Dabei wird die gesamte Situation bei der Untersuchung mit einbezogen – Faktoren wie Proportionalität und der Stressfaktor spielen ebenfalls eine Rolle. „Der Beamte hat in diesen Situationen meist nur einen Bruchteil von einer Sekunde, um sich zu entscheiden. Wir jedoch haben im Nachhinein natürlich viel mehr Zeit, eine Analyse zu machen“, so Vincent Fally.

Weg zu mehr Kontrolle

Ein Polizeikontrollorgan wie die IGP gab es hierzulande allerdings nicht schon immer. Bis zur Fusion der Polizei und der Gendarmerie im Jahr 2000 übernahmen die Sicherheitsbehörden selbst diese Funktion – die Beamten ermittelten gegen die Mitglieder der anderen Behörde. 

Um die Unabhängigkeit der IGP zu verstärken, wurde die Behörde 2018 tiefgreifend reformiert. Ein direktes Kontrollorgan der Kontrolleure gibt es aber nicht. Allerdings bedeute dies nicht, dass die Arbeit der Generalinspektion nicht kontrolliert oder die Behörde niemandem Rechenschaft schuldig sei, betont Monique Stirn. 

„Im strafrechtlichen Bereich arbeiten wir unter der Leitung der Justizbehörden. Sie kontrollieren natürlich unsere Arbeit. In allen anderen Bereichen erstatten wir dem Minister Bericht und unterliegen der parlamentarischen Kontrolle.“

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